Talentförderung – ein Trend in Nordrhein Westfalen?

14.05.2015

Rund um das Thema Talentförderung und Talentscouting findet man in Nordrhein Westfalen (NRW) derzeit regelmäßig Berichte in den Medien. Das Thema scheint aus unterschiedlichen Gründen Konjunktur zu haben und wird durch entsprechende landespolitische Rückendeckung vorangetrieben.

Als erster Talentscout in Deutschland sorgt Suat Yilmaz (Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen Bocholt Recklinghausen) bereits seit längerem immer wieder für Aufmerksamkeit. „Yilmaz und sein Team suchen in den Schulen des Ruhrgebiets sehr erfolgreich nach begabten Schülerinnen und Schülern, für die ein Studium bisher viel zu selten in Frage kommt. Zu diesem Personenkreis gehören insbesondere Jugendliche aus Nichtakademiker- und Migrantenfamilien.“ (vgl. Webseite des Ministeriums für Innovation, Wissenschaft und Forschung des Landes NRW). Yilmaz koordiniert seit 2011 die Talentförderung an der Westfälischen Hochschule.

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Bericht auf der Webseite des Ministeriums für Innovation, Wissenschaft und Forschung des Landes NRW

Förderung durch das Ministerium

Darauf aufbauend hat das Ministerium für Wissenschaft und Forschung (MIWF) unter Wissenschaftsministerin Svenja Schulze kürzlich ein neues Programm zum Ausbau des Talentscoutings in NRW vorgestellt. In den kommenden vier Jahren wird das MIWF insgesamt rund 22 Millionen Euro in die Talentförderung im Hochschulbereich investieren. Der Ministerin geht es vor allem um Chancengleichheit und darum, dass nicht allein vom Elternhaus abhängen darf, ob ein junger Mensch die eigenen Potenziale ausschöpfen und nutzen kann/darf. Auch mit Blick auf den Fachkräftemangel betont Ministerin Schulze, dass es sich das Land NRW schlicht nicht leisten kann, auf jene Talente zu verzichten (vgl. Pressegespräch vom 10. Dezember 2014).

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Pressegespräch zum Ausbau des Talentscoutings in NRW vom 10. Dezember 2014, Sprechzettel der Ministerin

Eckdaten des Projekts

Details zum Projekt können an dieser Stelle nicht erschöpfend dargestellt werden. Stattdessen soll der Fokus hier auf wesentlichen Eckdaten und Rahmenbedingungen liegen, die die Arbeit mit Studieninteressierten im Übergang Schule-Hochschule und somit den Tätigkeitsbereich der (Zentralen) Studienberatungsstellen der Hochschulen berühren und ggf. beeinflussen.

Das Projekt "Talentförderung in NRW" in Kürze

  • Pilotphase: das Projekt richtet sich zunächst an (fünf) Hochschulen im Ruhrgebiet. Bewerbungsfrist: 27. Februar 2015. Weitere vier Hochschulen können bis 2017 hinzukommen.
  • Jede teilnehmende Hochschule erhält jährlich bis zu 500.000 Euro für die Talentförderung. Pro Hochschule werden zwei bis fünf Talentscouts eingesetzt.
  • Die ersten Talentscouts sollen ihre Arbeit im Juli 2015 aufnehmen.
  • Die Koordination aller Talentscouts wird über die Servicestelle „NRW-Zentrum für Talentförderung“ an der Westfälischen Hochschule abgewickelt.

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Servicestelle „NRW-Zentrum für Talentförderung“

Die Größenordnung des Projekts wird bereits anhand dieser wenigen Eckdaten deutlich (bis zu fünf Talentscouts je Hochschule). Recht bald stellen sich auch die Fragen nach dem inhaltlichen und strukturellen Verhältnis zu den Zentralen Studienberatungen (ZSB), die es an den meisten Hochschulen bereits gibt und dies ebenso häufig mit langjähriger Tradition. Schon ob der personellen Ausstattung horcht man auf. So verfügen ZSBn an vielen Hochschulen über weit weniger als fünf Studienberater/-innen.

Umsetzung des Talentscoutings

Der Ansatz, dass in Deutschland seltener die Talente und Fähigkeiten über den Bildungsweg entscheiden als die familiären Hintergründe ist sicherlich zutreffend. Dieser Tatsache mit dieser Form des Talentscoutings zu begegnen, ist jedoch neu. Doch was verbirgt sich in der Praxis und somit an der Westfälischen Hochschule hinter dem Begriff des „Talentscouting“? Auf die Frage „Und wie funktioniert das Talentscouting in der Praxis?“ antwortet Suat Yilmaz im Interview mit dem MIWF: „Wir begleiten Schülerinnen und Schüler ab der zehnten oder elften Klasse kontinuierlich bis zum Fachabitur oder Abitur. Für jedes Talent stimmen wir gemeinsam individuelle Förderpläne ab. Im Rahmen regelmäßiger Entwicklungsgespräche und einer kontinuierlichen Kommunikation auch über E-Mail, Facebook oder WhatsApp verfolgen und reflektieren wir gemeinsam den individuellen Orientierungsprozess. Und wir machen intensive Elternarbeit. Wir beraten vor Ort Eltern in den Schulen oder in Kulturvereinen.“ (vgl. Interview mit Suat Yilmaz).

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Interview mit Suat Yilmaz

ZSB versus Talentscouting – Gemeinsamkeiten und Unterschiede

Gemein haben die Zentralen Studienberatungen (ZSBn) und das Projekt Talentförderung, dass beide Einrichtungen sich der Unterstützung und Begleitung von Schülerinnen und Schülern im Übergang von der Schule in die Hochschule widmen.

Auftrag
Während die ZSBn von Seiten der jeweiligen Hochschule mit der Unterstützung und Beratung von Studieninteressierten sowie Studierenden beauftragt sind, liegt die Aufgabe der Talentförderung in der spezifischen und individuellen Förderung einzelner, talentierter Schülerinnen und Schüler schwerpunktmäßig im Übergang in die Hochschule hinein. Die Talentförderung scheint in erster Linie spezielle Schülerinnen und Schüler in ein Studium zu überführen, schließt andere Ausbildungswege aber offiziell nicht aus. Die ZSBn sind diesbezüglich nicht weisungsgebunden. Ergebnis eines Beratungsprozesses kann somit also bspw. auch eine Berufsausbildung sein.

Zielgruppe
Die Zielgruppe der Talentförderung ist eng zugeschnitten auf talentierte Schülerinnen und Schüler aus Familien mit Migrationsgeschichte und zumeist ohne akademische Tradition. Dahingegen begreifen ZSBn einen weitaus größeren Personenkreis als Zielgruppe. Hierzu zählen Schülerinnen und Schüler aller Schulformen und aller Leistungsstände, weitere Studieninteressierte wie beruflich Qualifizierte sowie als sekundäre Zielgruppe auch Eltern und Lehrerinnen und Lehrer im Sinne von Multiplikatoren.

Beratungsverständnis
Im Beratungsverständnis liegt sicherlich ein wesentlicher Unterschied zwischen ZSBn und Talentförderung wie sie bislang umgesetzt wird. Gemäß dem Beratungsverständnis der ´´´GIBeT beruht Beratung auf der Freiwilligkeit der Ratsuchenden. Entscheidend ist nicht nur die Freiwilligkeit, sondern wichtiger ist noch, dass die/der Ratsuchende aktiv auf die ZSB zugeht. Bei der Talentförderung ist dies umgekehrt. Hier werden talentierte Schülerinnen und Schüler zumeist durch Lehrkräfte der eigenen Schule bei der Talentförderung vorgeschlagen. Daraufhin geht ein Talentscout aktiv auf die Schülerin/den Schüler zu. ZSBn beraten klientenorientiert, ergebnisoffen und sind nicht weisungsgebunden. Oberstes Ziel ist die Unterstützung der/des Ratsuchenden.

Offene Fragen

Um eine optimale und umfassende Unterstützung von Studieninteressierten und Studierenden – eben auch in Zusammenarbeit mit einer künftigen Talentförderung – gewährleisten zu können, gilt es einige offene Fragen zu klären bzw. bei der Etablierung zu beachten.

  • Strukturelle hochschulinterne Verortung der Talentförderung: die strukturelle Verortung innerhalb einer Hochschule kann richtungsweisend für die Arbeit der Talentförderung und die Zusammenarbeit mit anderen Stellen in der Hochschule sein.
  • Verhältnis zur Zentralen Studienberatung (ZSB): aufgrund der gegebenen Schnittmengen im Tätigkeitsfeld empfiehlt sich eine enge Zusammenarbeit und Absprache.
  • Beratungsverständnis und -ansatz einer Talentförderung: ob hier tatsächlich klientenzentriert und ergebnisoffen beraten wird, bleibt unklar.
  • Qualifikation der Talentscouts und Qualitätssicherung in der Talentförderung: bzgl. der Qualifikation und Qualitätssicherung sollten gewisse Standards entwickelt werden, die sich bspw. auch im Beratungsverständnis wiederfinden.

Zu guter Letzt

Die meisten Hochschulen blicken glücklicherweise auf eine lange Tradition der Zentralen Studienberatungsstellen zurück. Hier finden sich zumeist Kolleginnen und Kollegen, deren Expertise mit Blick auf Beratungsmethoden, aber auch die unterschiedlichen Zielgruppen und deren Bedarfe umfassend ist. Bei der Etablierung einer Talentförderung sollte diese Expertise genutzt werden. Nicht nur um Doppelstrukturen zu vermeiden und Synergieeffekte zu nutzen, sondern vor allem auch, damit mithilfe der Kolleginnen und Kollegen in der ZSB der optimale Zuschnitt und die optimale Verortung einer Talentförderung im System Hochschule gelingt.

Aktuelles

Am 18. Mai 2015 haben sechs Ruhrgebietshochschulen und Wissenschaftsministerin Svenja Schulze (NRW) Kooperationsverträge unterzeichnet. Es handelt sich um die folgenden Hochschulen:

  • Hochschule Bochum
  • Ruhr-Universität Bochum
  • Fachhochschule Dortmund
  • Technische Universität Dortmund
  • Universität Duisburg-Essen
  • Hochschule Ruhr-West

Weitere Informationen sind auf der Webseite des Wissenschaftsministeriums NRW zu finden.